Wie wir auf die Idee eines Podcasts gekommen sind
Als eines der größten Immobilienbüros der Region werden wir tagtäglich mit persönlichen Geschichten und privaten Schicksalen konfrontiert. Seit der Flüchtlingswelle aus der Ukraine haben sich die Gespräche verändert, oft sind Dolmetscher dabei oder es kommt der Google Translator zum Einsatz. Neben den vielen wohnungssuchenden Flüchtlingen sind es auch Menschen aus unserer Region, die uns zum Thema Wohnungen für die Geflüchteten kontaktieren. Fast jedes dieser Gespräche ist emotionsgeladen. Es sind Schicksale die uns berührt haben. Das eine Mal steht man den Tränen nah und ein anderes Mal zaubern uns diese großartigen Menschen, die sich so uneigennützig für die Flüchtlinge einsetzen, ein Strahlen ins Gesicht.
Weil wir uns an der Hilfe beteiligen möchten, haben wir Nachfragen oder Aufgaben übernommen, die sonst nicht in unser Ressort fallen. Und wir erleben die Hilfsbereitschaft bei unseren Eigentümern oder Mietern. Viele von denen, die sich privat bereit erklärt haben, Flüchtende aufzunehmen, standen oder stehen immer noch mit vielen unbeantworteten Fragen von offizieller Stelle allein. Bei den Vermittlungsversuchen, die wir übernahmen, haben wir die Herausforderungen selbst erfahren und versucht gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu finden. Ein Beispiel eine in Görlitz lebende Ukrainerin, die als Kinderärztin im Klinikum arbeitet und einige Wohnungen angemietet hat, um ihre Verwandten und Bekannten unterzubringen oder ein junges Paar mit drei Kindern, die ihren Hof als Erstunterkunft für Flüchtlinge bereitgestellt haben.
Wenn wir heute die Nachrichten einschalten geht es um Waffenlieferungen, um das Öl-Embargo oder um andere Wirtschaftssanktionen, aber es geht weniger um die Menschen, die den Strapazen der Flucht und den damit verbundenen Ängsten ausgesetzt sind.
In unserer täglichen Arbeit hören wir diese Geschichten und denken im Hinblick auf die tagtägliche Berichterstattung, dass es genau diese Geschichten sind, welche man teilen sollte – weil es echte, ganz persönliche Eindrücke sind. Erzählungen die motivieren, sich in dieser besonderen Situation weiter einzubringen und die dabei helfen, den Fokus mehr auf den Menschen, statt auf die politischen Debatten zu lenken. Wir können nichts beitragen, um die Wirtschaftssanktionen gegen Russland durchzusetzen, wir können aber den hier gelandeten Flüchtlingen helfen und wir können die Helfer unterstützen.
Das geschriebene Wort kann diese Geschichten nicht so gut wiedergeben, sie müssen einfach erzählt werden. Deshalb haben wir über ein Audioformat nachgedacht und den Kontakt zu Julian Nejkow, einem erfahrenen “Podcaster” aus Görlitz, gesucht.
Anschließend haben wir Menschen mit denen wir gesprochen haben, gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, ihre Geschichte nocheinmal zu erzählen, während sie dabei aufgenommen werden. Die Interviews wurden Mitte April bis Anfang Mai geführt. Auch wenn wir uns – im Vergleich zu anderen – weniger als Helfer sehen, so sind wir ganz nah an dem Thema dran und bekommen auch täglich neue Anfragen. Es war uns wichtig, diese Erfahrungen mit Anderen teilen zu können. Ein Podcast über die Perspektiven der Helfenden, schien uns dafür das beste Format zu sein.
Die Perspektive unseres Redakteurs – Julian Nejkow
“Krieg in Europa, das kannten wir bis vor Kurzem nur von Erzählungen oder von Radio- und TV-Beiträgen aus vergangener Zeit. Es ist seit 1945 nicht der erste Krieg in Europa, aber jener, der so nah scheint, dass er uns tagein tagaus beschäftigt.
Ukraine, was verbinden wir damit? Pelmeni, Bortsch, Kornfelder? Irgendwas mit Russland? Wer kennt schon das schwarze Meer vor den Toren Odessas oder jene dutzende Kathedralen Kiews, den Fluss Butscha, Namensgeber der Stadt, wo vor wenigen Wochen die Gräuel dieses Krieges offenbart worden sind. Städte und Dörfer, in denen jetzt so grausame Dinge passieren, sind noch immer die Heimat für 40 Mio Ukrainer und Krieg ist stets mit Flucht verbunden. Millionen haben sich auf den Weg gemacht, sie fliehen vor dem Tod, vor Bomben und Leid. Flucht ist der Verlust von dem, was einem selbstverständlich ist.
Neben der Perspektive der Flüchtenden gibt es da noch die andere Seite, die Perspektiven der Helfenden, die gewillt sind, ein Stück ihrer Heimat zu teilen. An diesen Menschen sind wir viel näher dran. Wenn wir mit ihnen reden, holen wir sie aus dem “Dunkel” ins “Licht”, denn ohne sie wäre kaum noch Licht zu sehen, in dieser dunklen Epoche europäischer Geschichte. Der Podcast erzählt die Perspektiven drei helfender Parteien im Zuge der Wohnungssuche für Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie nehmen mich mit in ihren Alltag als Helfende. Sie erklären mir was für sie Krieg, Flucht und Glück bedeutet und warum das Helfen ein Marathon ist.
Das erste Interview habe ich mit Iryna geführt, einer seit 2014 in Görlitz lebenden ukrainischen Kinderärztin, die bei uns im Städtischen Klinikum arbeitet und aktuell jeden Tag um das Leben ihren Lieben bangt. Danach habe ich ein junges Paar interviewt, die mit ihren drei Kindern auf einem Vierseitenhof in der Nähe von Görlitz lebt und einfach helfen wollten.
Der besagte Hof ist älter als die zurückliegenden Weltkriege. Die heutigen Besitzer haben Zeitzeugen kennengelernt und erfahren, dass ihr heutiges Zuhause schon früher als Flüchtlingsunterkunft gedient hat. Sie hätten noch vor wenigen Monaten nie daran gedacht, dass sie selbst in diese Situation geraten werden und ihren Kindern Fragen über einen in Europa wütenden Krieg beantworten müssten.
Das dritte und vierte Interview spiegelt die Perspektive der Vermietungsabteilung von der Immobilienfirma, die mich angefragt hat, wider. Sie kennen die Geschichten meiner ersten beiden Gesprächspartner. Mir war es wichtig, auch ihre Sichtweise anzuhören.
Beeindruckt, aber auch nachdenklich, lassen sie mich zurück, doch mit der festen Überzeugung: Helfen hilft – jenen die Hilfe brauchen – aber auch uns selbst, um die Ohnmacht in dieser außergewöhnlichen Zeit zu überwinden. “